Künstlerische Leitung
Arnold Bode
Orte
Museum Fridericianum
Künstler*innen
148
Besucher*innen
130.000
Budget
379,000 DM
Die 1955 in Kassel stattfindende Bundesgartenschau, in der die Trümmerhalden des Zweiten Weltkriegs mit Rosenbeeten bepflanzt wurden, diente Arnold Bode – Maler, Zeichner, Gestalter und Lehrer (1933 Berufsverbot), 1948 Mitbegründer der Kasseler Kunstakademie – als Anlass zur Realisierung der lang gehegten Vision einer internationalen Großausstellung moderner Kunst in Deutschland. Ziel war es, die durch die Nationalsozialisten verfolgte Avantgarde nach Deutschland zurückzuholen und ein breites Publikum mit kulturellem „Nachholbedarf“ an sie heranzuführen – es sollte die erste Ausstellung der Moderne nach der Entartete Kunst-Ausstellung 1937 in München sein.
Bodes Vorbild waren Weltkunstschauen wie die Armory Show in New York. Doch ging es bei der Kasseler Veranstaltung nicht darum, einen Überblick über das Kunstschaffen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu geben, sondern vielmehr darum, „die Wurzeln des gegenwärtigen Kunstschaffens auf allen Gebieten sichtbar zu machen“, so Arnold Bode im Exposé. Um eine Genealogie des Gegenwärtigen also, generiert aus einer Stimmung zwischen Nachkriegstrauma und Modernisierungswillen. Dazu gehörten im Eingangsbereich zur Ausstellung eine Fotoserie mit Beispielen antiker, frühchristlicher und außereuropäischer Kunst als Fundament der europäischen Moderne, ergänzt durch Fotoportraits von den „Meistern“ der Avantgarde, sowie eine Ausstellung von Architekturfotografie von 1905 bis 1955 im zweiten Geschoss der Rotunde des Fridericianums.
Plakat der Bundesgartenschau (1955)
Museum Fridericianum
Foto: Günther Becker
Museum Fridericianum
Foto: Günther Becker
Museum Fridericianum:
Gustav H. Wolff, Medusa (1929); Gustav Seitz, Stillleben (1943); Giorgio Morandi, Stillleben (1919), Stillleben (1949), Stillleben (1929) © Giorgio Morandi/VG Bild-Kunst
Foto: Günther Becker
Pablo Picasso, Mädchen vor einem Spiegel / Girl before mirror / Frau vor dem Spiegel (1932), © Pablo Picasso/VG Bild-Kunst
Museum Fridericianum:
Oskar Schlemmer, Fünfzehnergruppe (1929)
Wilhelm Lehmbruck, Kniende / Kneeling Woman (1911), Badende (1914), Mutter und Kind (1917/18)
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Zehn Jahre nach Kriegsende herrschte in dem durch alliierte Bomben nahezu völlig zerstörten Kassel wieder Aufbruchsstimmung. Das 1943/44 komplett ausgebrannte Museum Fridericianum – das älteste Museum auf europäischem Festland, entstanden im Geist der Aufklärung – war gerade wieder notdürftig instand gesetzt. Ein passenderes Sinnbild für die deutsche Bildungskatastrophe, die Bode mit der documenta reparieren wollte, hätte sich kaum finden lassen können. Für den Gestalter Bode boten die unverputzten, weiß gekalkten Wände eine spektakuläre Kulisse für seine Inszenierung. Er arbeitete unter anderem mit Heraklith-Platten als strukturgebenden Verkleidungen sowie mit Wanddrapierungen aus opak schwarzem und weißem semi-transparentem Plastik, die dazu dienten, das einfallende Tageslicht zu regulieren. Zum Teil wurden Gemälde auch direkt darauf gehängt. Eine weitere Besonderheit waren die Metallstelen, auf denen Bilder wie vor der Wand schwebend angebracht waren oder gar frei im Raum standen (etwa die Gemälde des Futuristen Carlo Carrà), was ihnen etwas Objekt-, ja Wesenhaftes verlieh. In Bodes Ausstellungsdesign sollten nicht nur Werke zueinander in Beziehung gesetzt werden, sondern vor allem auch Betrachter und Kunstwerk. Symbolträchtig Wilhelm Lehmbrucks Kniende (1911) im Herzen der Rotunde – sie war schon 1913 auf der Armory Show und 1937 auf der Entartete Kunst-Ausstellung gezeigt worden. Über ihr, im Treppenhaus der Rotunde, hingen Gemälde Oskar Schlemmers aus den 1920er Jahren.
Am Ende der Skulpturenhalle in Erdgeschoss thronten Henry Moores König und Königin (1952/53), davor in lockerer Anordnung abstrakte Skulpturen von unter anderem Hans Arp, Raymond Duchamp-Villon und Barbara Hepworth und Mobiles von Alexander Calder. Im großen Malereisaal im Obergeschoss hing Picassos Mädchen vor einem Spiegel von 1932 vis-à-vis dem 1955 eigens für die documenta produzierten Gemälde Komposition vor Blau und Gelb von Fritz Winter, der als Vater der abstrakten Malerei in Deutschland gilt – eine kühne Gegenüberstellung, die den Anschluss Deutschlands an das internationale Kunstgeschehen symbolisieren sollte. Als Sitzmöglichkeiten dienten kleine Hocker, die – ebenso wie das Mobiliar des „Café Picasso“ im zweiten Geschoss der Rotunde – von Arnold Bode entworfen waren.
Museum Fridericianum
Foto: Erich Müller
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Weitere wichtige Malerei-Positionen waren unter anderem Max Beckmann (vertreten etwa mit dem Perseus-Triptychon, 1941), Giorgio de Chirico, Wassily Kandinsky, Paul Klee, Henri Matisse und Piet Mondrian. Künstler*innen wie Paula Modersohn-Becker, Maria Helena Vieira da Silva oder Sophie Taeuber-Arp bildeten die Ausnahme. Waren die klassischen Hauptströmungen der Avantgarde mit Expressionismus, Futurismus, Konstruktivismus und Kubismus auch vertreten, so fällt es doch auf, dass explizit politische, subversive Positionen wie Dada, namentlich John Heartfield oder George Grosz, fehlten. Insgesamt wurden 670 Werke von 148 Künstlern aus sechs Nationen gezeigt, vornehmlich aus Deutschland, Frankreich und Italien. Bei der inhaltlichen Konzeption stand Bode ein Arbeitsausschuss zur Seite, allen voran als konzeptioneller Vordenker der renommierte Kunsthistoriker Werner Haftmann, der die These von der Kontinuität der Entwicklung einer zum Abstrakten hin orientierten Kunst vertrat. Diese Tendenz sollte sich vier Jahre später auf der documenta 2 – von der 1955 jedoch noch nicht die Rede war – fortsetzen und zuspitzen.
Dass Bode eine zyklische Weiterführung seiner Internationalen Ausstellung bereits mitdachte, ist zumindest anzunehmen. Der überwältigende öffentliche Erfolg der documenta mit 130.000 Besuchern in 100 Tagen ebnete jedenfalls den Weg dafür.