documenta 8

Plakat mit grafischem Motiv auf gesprenkeltem Farbverlauf von Gelb über Grün, Rot, Violett bis Blau. Im Zentrum verlaufen zwei weiße Linien diagonal und formen stilisierte Rauten. In der linken oberen Ecke steht schräg der Text „documenta 8 Kassel“ und rechts davon „12. Juni – 20. Sept. 1987“.
Ausstellungsplakat documenta 8 (1987)

Künstlerische Leitung

Manfred Schneckenburger

Orte

Museum Fridericianum, Orangerie, Karlsaue, Kasseler Innenstadt, Kulturfabrik Salzmann, Renthof, Diskothek “New York”, Karlskirche

Künstler*innen

317

Besuchende

486.811

Budget

8.960.963 DM

Eigentlich hätten Edy de Wilde und Harald Szeemann die documenta 8 gemeinsam leiten sollen, inhaltliche Differenzen aber führten dazu, dass diese Zusammenarbeit vorzeitig beendet wurde. Manfred Schneckenburger übernahm daraufhin kurzfristig das Amt des künstlerischen Leiters und war somit – nach Bode – der Erste und bisher Einzige in der documenta-Geschichte, der dieses Amt zweimal innehatte. Nicht zuletzt der kurzen Vorbereitungszeit war es wohl geschuldet, dass Schneckenburgers documenta 8, genau wie die documenta 7, auf ein theoretisches Konzept verzichtete. Anders als ihre Vorgängerausstellung beharrte die documenta 8 aber wieder auf der gesellschaftspolitischen Verantwortung der Kunst; statt auf ästhetischer Autonomie bestand man in vielen der präsentierten Arbeiten dezidiert auf einer „funktionale[n] Einbindung der Kunst“, wie Elke Bippus in einem Text über die Ausstellung schrieb.

Schneckenburgers Verdienst war es, die Frage nach der politischen Qualität der Kunst erstmals auf der documenta nicht mehr vorrangig in Denkmodellen der Moderne, sondern in solchen der Postmoderne zu stellen. Schneckenburger proklamierte den Verlust der Utopie im fortgeschrittenen Kapitalismus und betonte gleichzeitig die Auflösung eines hierarchischen Stil- und Formenkanons in der Kunst. Eklektizismus war das Gebot der Stunde, ein „Anything goes“ schien gegen Ende des 20. Jahrhunderts möglich zu sein. Beides, der Verlust der Utopie und formaler Eklektizismus, führte zum Ende des Konzepts der einen Großen Erzählung, oder, wie Schneckenburger es im Katalog formulierte, zur Aufgabe des „Glaubens an thematische Enzyklopädien, in denen eine Theorie alle Welträtsel auf einmal löst“. Für Schneckenburgers zweite documenta bedeutete diese postmoderne Vorstellung zum einen eine inhaltliche Ausrichtung, in deren Fokus vor allem die Auseinandersetzung mit Gewalt und Krieg stand. Zum anderen wurden in formaler Hinsicht immer wieder die Wechselbeziehungen von Architektur, Design und Kunst untersucht. So verwundert es nicht, dass die Malerei auf dieser documenta eine deutliche geringere Rolle spielte als fünf Jahre zuvor und stattdessen Skulpturen und Installationen, Videos und Performances im Vordergrund standen.

Zwei großformatige Gemälde hängen an den weißen Wänden eines Ausstellungsraums. Links ist eine expressive, figurenreiche Komposition mit Textfragmenten und einem stilisierten Totenkopf zu sehen, rechts zwei abstrahierte Figuren mit betonten Körperformen.
Jean Michel Basquiat, ohne Titel (1982) © Jean Michel Basquiat/VG Bild-Kunst; Elvira Bach, Nachteulen (1981) © Elvira Bach/VG Bild-Kunst. Foto: Hillmer Deist
Installation in einer Rotunde mit einem großen, freistehenden blauen Kubus, in dessen Mitte ein unscharfes Foto von demonstrierenden Personen mit einem übergroßen Logo der Deutschen Bank überblendet ist. Darüber schwebt das Mercedes-Stern-Logo. Umgeben ist die Szene von kleinen Topfbäumen und gerahmten Texttafeln an den Wänden.
Hans Haacke, Kontinuität (1987) © Hans Haacke/VG Bild-Kunst Foto: Frank Mihm

Die Installation Kontinuität (1987) von Hans Haacke etwa steht mustergültig für Schneckenburgers kuratorischen Ansatz. Haacke hatte in der Rotunde des Fridericianums ein Setting inszeniert, das auf den ersten Blick an die repräsentative Eingangshalle eines großen Unternehmens erinnerte. Hinter dem zur Skulptur vergrößerten Logo der Deutschen Bank gekrönt von einem Mercedes-Stern hing ein Foto von einem Beerdigungszug in Südafrika. Informationstafeln und Zimmerpflanzen umrahmten das Ensemble, das auf die Rolle dieser beiden deutschen Traditionsunternehmen in der damaligen Apartheidpolitik in Südafrika verwies. Beide Firmen hatten sich in den 1980er Jahren in ihrer skrupellosen Geschäftspolitik nicht an internationale Boykott-Aufrufe gegen Südafrika gehalten. Der Schotte Ian Hamilton Finlay schuf mit seiner Guillotinen-Reihe A View to the Temple (1987) eine der bekanntesten Arbeiten der documenta 8, und auch sie überzeugte durch ihr quasi „anti-utopisches“ Engagement. In der Karlsaue standen da gleichsam „in Reih und Glied“ hölzerne Guillotinen mit bronzenen Fallbeilen. Auf Letzteren waren Zitate von Revolutionstheoretikern eingraviert, die am Beispiel der Französischen Revolution thematisierten, wie utopisches Gedankengut zu Terror und Gewalt führen kann. 

Die US-amerikanische Künstlerin Barbara Kruger wiederum zeigte ihre Fotoarbeit Untitled (Endangered Species) (1987), auf der drei angsterfüllte menschliche Gesichter zu sehen sind. Über ihnen hatte Kruger den Schriftzug „Endangered Species“ (gefährdete Arten) montiert und somit ein mögliches Ende der (menschlichen) Geschichte künstlerisch ins Spiel gebracht.

Trotz solcher prägnanten Arbeiten musste sich die documenta 8 damals unter anderem ob ihrer vermeintlichen „Beliebigkeit“ der Werkauswahl – immerhin nahmen 405 Künstlerinnen und Künstler an der Ausstellung teil – zum Teil scharfer Kritik stellen.

Künstler*innen

a

  • Adam Noidlt Intermission
  • Akademia Ruchu
  • Allen, Terry
  • Allende-Blin, Juan
  • Amirkhanian, Charles
  • Anderson, Laurie
  • Applebroog, Ida
  • Arad, Ron
  • Armajani, Siah
  • Armleder, John M.
  • Artaud, Antonin
  • Artschwager, Richard
  • ASA (Art Sevice Association)
  • Ashley, Robert
  • Atlas, Charles
  • Aycock, Alice

b

  • Balla, Giacomo
  • Baquié, Richard
  • Barlow, Klarenz
  • Bauchet, François
  • Becker, Jürgen
  • Bense, Max
  • Berio, Luciano
  • Bermagne, Barry
  • Bermange, Barry
  • Beuys, Joseph
  • Binazzi, Lapo
  • Birnbaum, Dara
  • Blase, Karl Oskar
  • Blumenthal, Lyn & Klonarides, Carol-Ann
  • Boltanski, Christian
  • Borkenhagen, Florian
  • Borofsky, Jonathan & Glassman, Gary
  • Bosslet, Eberhard
  • Brandolini, Andreas
  • Branzi, Andrea
  • Brecht, George
  • Brixey, Shawn & Knott, Laura
  • Brock, Bazon
  • Brodbeck, Christine
  • Brummack, Heinrich
  • Bruszewski, Wojciech
  • Burden, Chris
  • Burton, Scott
  • Bustamante, Jean-Marc
  • Byars, James Lee
  • Bódy, Gábor

c

  • Cage, John
  • Cahen, Robert
  • Cantsin, Monty
  • Carr-Harris, Ian
  • Casiniere, Joelle de la
  • Cattani, Giorgio
  • Chion, Michel
  • Chlebnikov, Velimir
  • Chopin, Henri
  • City Souvenir
  • Cloud Chamber
  • Cohn, Norman
  • Collyer, Robin
  • Compagnia Giorgio Barberio Corsetti
  • Corsetti, Giorgio Barberio
  • Cragg, Tony
  • Cucchi, Enzo
  • Curran, Alvin

d

  • Dawn
  • Deganello, Paolo
  • Die Tödliche Doris
  • Dossi, Ugo
  • Drescher, Jürgen
  • Dufrêne, François
  • Döhl, Reinhard

e

  • Ecker, Bogomir
  • Eller, Ulrich
  • Emshwiller, Ed
  • Endo, Toshikatsu
  • Ernst, Max
  • Etant Donnès

f

  • Fassbinder, Rainer Werner
  • Ferrari, Luc
  • Finlay, Ian Hamilton
  • Fischer, Lili
  • Fischer, Thomas F.
  • Fischl, Eric
  • Fischli & Weiss
  • Flaxton, Terry - Triple Vision
  • Fontana, Bill
  • Fox, Terry
  • Franke, Marlis A.
  • Friedmann, Gloria

g

  • García Sevilla, Ferrán
  • Garhel & Galindo
  • General Idea
  • Gerz, Jochen
  • Globokar, Vinko
  • Godard, Jean-Luc
  • Goebbels, Heiner
  • Goldstein, Jack
  • Goldstein, Malcolm
  • Goldstein, Zvi
  • Golub, Leon
  • Gorilla Tapes
  • Gormley, Antony
  • Gould, Glenn
  • Grosvenor, Robert
  • Group Material
  • Görlich, Ulrich
  • Günther, Ingo

h

  • Haacke, Hans
  • Hamos, Gusztáv
  • Handke, Peter
  • Harig, Ludwig
  • Harrison, Helen & Newton
  • Haus-Rucker-Co
  • Hausmann, Raoul
  • Hays, Doris Sorrel
  • Heinrich Mucke
  • Heissenbüttel, Helmut
  • Helms, Hans G.
  • Henry, Pierre
  • Hien, Albert
  • Hill, Gary
  • Hollein, Hans
  • Holzer, Jenny
  • Hoover, Nan
  • Hooykaas, Madelon & Stansfield, Elsa
  • Horvers, Toine
  • Huber, Stephan
  • Huene, Stephan von
  • Humpert, Hans Ulrich

i

  • Idemitsu, Mako
  • Isozaki, Arata
  • Ivekovic, Sanja & Martinis, Dalibor

j

  • Jaar, Alfredo
  • Jandl, Ernst
  • Jarry, Alfred
  • Jetelová, Magdalena
  • Johnson, Bengt Emil
  • Jonas, Joan
  • Jovanovic, Arsenije
  • Joyce, James
  • Julius, Rolf
  • Jünger, Patricia

k

  • Kagel, Mauricio
  • Kandinsky, Wassily
  • Kaprow, Allan
  • Karavan, Dani
  • Kawamata, Tadashi
  • Kemps, Niek
  • Kiefer, Anselm
  • Klauke, Jürgen
  • Kleihues, Josef Paul
  • Klein, Astrid
  • Kleinefenn, Florian & Rahmann, Fritz
  • Klier, Michael
  • Klingler, Monica
  • Knoebel, Imi
  • Knowles, Alison
  • Komar & Melamid
  • Kostelanetz, Richard
  • Kriesche, Richard
  • Kriwet, Ferdinand
  • Kruger, Barbara
  • Krypton
  • Kubisch, Christina
  • Kubota, Shigeko
  • Kumrow, Klaus

l

  • Lafontaine, Marie-Jo
  • Laib, Wolfgang
  • Lang, Nikolaus
  • Lavier, Bertrand
  • Leccia, Ange
  • Levine, Les
  • Logue, Joan
  • Longo, Robert
  • Lord, Chipp & McGowan, Mickey
  • Lucier, Alvin
  • Luy, Wolfgang

m

  • MacLow, Jackson
  • Magazzini Criminali
  • Magor, Liz
  • Majakovskij, Vladimir Vladimirovič
  • Malevic, Kasimir
  • Marinetti, Fillipo Tommaso
  • Mariscal, Javier
  • Marshall, Stuart
  • Mayröcker, Friederike
  • McLean, Bruce
  • Mendini, Alessandro
  • Merz, Gerhard
  • Metzel, Olaf
  • Miller, Branda
  • Minus Delta T
  • Mon, Franz
  • Moore, Charles W.
  • Morris, Robert
  • Morrison, Jasper
  • Morrow, Charles

n

  • Nakai, Tsuneo
  • Nakajima, Ko
  • Nannucci, Maurizio
  • Nechvatal, Joseph
  • Nestler, Wolfgang
  • Nieslony, Boris
  • Nikolic, Vladimir Lalo
  • Nordman, Maria
  • Nyst, Jacques-Louis

o

  • O'Kelly, Alanna
  • Odenbach, Marcel
  • Olbrich, Jürgen O.
  • Oliveros, Pauline
  • Ono, Yoko
  • Opie, Julian
  • Oppermann, Anna
  • Oursler, Tony

p

  • Paik, Nam June
  • Palestine, Charlemagne
  • Pastior, Oskar
  • Peichl, Gustav
  • Penone, Giuseppe
  • Pentagon
  • Picasso, Pablo
  • Pitz, Hermann
  • Platz,Robert HP
  • Plessi, Fabrizio
  • Prinz, Bernhard
  • Projekt Rübenspäher
  • proT
  • Pörtner, Paul

q

  • Quartucci, Carlo

r

  • Rabinowitch, David
  • Radermacher, Norbert
  • Radulescu, Horatiu
  • Raskin Stichting
  • Reeves, Dan
  • Reichlin, Bruno & Reinhart, Fabio
  • Renzi, Guglielmo
  • Richter, Gerhard
  • Rosenbach, Ulrike
  • Rosenthal, Rachel
  • Rossi, Aldo
  • Rothenberg, Jerome
  • Rudnik, Eugeniusz
  • Ruller, Tomás
  • Ruttmann, Walther
  • Rückriem, Ulrich
  • Rühm, Gerhard

s

  • Sala, Annamaria & Marzio
  • Sanborn, John
  • Santachiara, Denis
  • Sarmento, Julião
  • Schaeffer, Pierre
  • Schafer, R. Murray
  • Schein, David
  • Scheuer, Winfried
  • Schnebel, Dieter
  • Schober, Helmut
  • Scholte, Rob
  • Schuler, Alf
  • Schulz, Thomas
  • Schwartz, Buky
  • Schwegler, Fritz
  • Schwitters, Kurt
  • Schütte, Thomas
  • Serra, Richard
  • Seuphor, Michel
  • Signer, Roman
  • SITE Projects, INC
  • Smith, Michael
  • Snowball Project
  • Società Raffaello Sanzio
  • Solano, Susana
  • Sottsass, Ettore
  • Spitzer, Serge
  • Staeck, Klaus
  • Starck, Philippe
  • Steckel, Ronald
  • Steele, Lisa & Tomczak, Kim
  • Stein, Gertrude
  • Steinbiß, Florian
  • Studio Azzurro
  • Suzuki, Akio

t

  • Tansey, Mark
  • Tarlo, Relly & Bedaux, Jacoba
  • Teipelke, Ilse
  • Tevet, Nahum
  • Totem
  • Trakas, George
  • Tusquets Blanca, Oscar

u

  • Ulay-Abramović
  • Ungers, Oswald M.
  • Ûlman, Mîkhah

v

  • Velez, Edin
  • Vercruysse, Jan
  • Vieille, Jacques
  • Vilaverde, Xavier
  • Viola, Bill
  • Virnich, Thomas
  • Vom Bruch, Klaus

w

  • Wewerka, Stefan
  • Wondratschek, Wolf
  • Woodrow, Bill
  • Wunderlich, Stephan
  • Wühr, Paul

y

  • Young, Graham

z

  • Zobl, Wilhelm

Künstlerischer Leiter

Manfred Schneckenburger
geboren 1938 in Stuttgart, gestorben 2019 in Köln

  • Studium der Germanistik, Geschichte, Kunstgeschichte, Ethnilogie Tätigkeit als Gymnasiallehrer Tätigkeit als Kunst- und Theaterkritiker

  • 1969–1972
    Künstlerischer Leiter Weltkulturen und Moderne Kunst anlässlich der Olympiade in München

  • 1973–1974
    Direktor der Kunsthalle Köln, Köln

  • 1974–1977
    Künstlerischer Leiter der documenta 6, Kassel

  • 1984–1987
    Künstlerischer Leiter der documenta 6, Kassel

  • 1987–1989
    documenta-Professur an der Gesamthochschule Kassel

  • 1991–2004
    Rektor der Kunstakademie Münster, Münster

  • 2007–2014
    Kurator der Biennale lichtsicht, Bad Rothenfelde

Auszeichnungen (Auswahl)

  • 2015
    Hessischer Kulturpreis für die Tätigkeit als Künstlerischer Leiter der documenta 6 und 8

Porträtaufnahme einer Person mit blondem, lockigem Haar und offenem Hemd im Freien. Der Blick ist direkt in die Kamera gerichtet. Im Hintergrund sind unscharf weitere Personen und Gebäude zu erkennen.
Manfred Schneckenburger. Foto: Wolfgang Pfetzing