- documenta
- documenta archiv
- Fridericianum
“I don’t want my work to be thought of as ‘large sculpture’, they are ideas that operate in the space between floor and ceiling. They bridge the gap.”
Mit großer Trauer haben wir vom Tod von Robert Grosvenor erfahren. Mit ihm ist eine der prägenden Künstlerpersönlichkeit der vergangenen Jahrzehnte von uns gegangen. Sein wandlungsreiches und stets überraschendes Œuvre inspirierte Generationen von Kunstschaffenden. Und dennoch blieb er – zumindest hierzulande – vergleichsweise unbekannt. Umso mehr ist es uns eine große Ehre, ihn – den zweimaligen documenta-Teilnehmer – mit einer in Deutschland längst überfälligen Retrospektive im Fridericianum würdigen zu können. Wir hätten uns sehr gewünscht, ihn zu diesem besonderen Anlass persönlich in Kassel willkommen zu heißen und unsere Freude mit ihm zu teilen.
Robert Grosvenor hat seit den 1960er Jahren ein vielgestaltiges Werk entwickelt, das neben Skulpturen auch Fotografien und Arbeiten auf Papier umfasst. Eindeutigen Zuschreibungen hat er sich hierbei stets entzogen. Zu Beginn seiner künstlerischen Laufbahn stellte er seine ersten Objekte in der von ihm mitgegründeten Park Place Gallery in New York aus – einem zentralen Ort der jungen, experimentellen Kunstszene – und trug maßgeblich zur Entstehung einer Bewegung bei, die später unter dem Begriff „Minimal Art“ Bekanntheit erlangte. Seine raumgreifenden Arbeiten waren sowohl in der legendären Ausstellung Primary Structures (1966) im Jewish Museum in New York als auch 1968 in der Schau Minimal Art im Gemeentemuseum Den Haag zu sehen. Als Minimalist hat er sich jedoch nach eigener Aussage nie verstanden: Die intellektuelle Strenge und Ernsthaftigkeit der Strömung sowie der formalistische Diskurs seiner Zeitgenoss*innen blieben ihm fremd.
Stattdessen setzen seine Arbeiten auf die unmittelbare sinnliche Erfahrung und zeugen von individuellem Erfindergeist und Humor. Sie sind Ausdruck eines intuitiven Spiels mit Materialen, Fundobjekten und Oberflächen, eines künstlerischen Fabulierens im architektonischen Raum und des experimentellen Ausreizens impliziter Widersprüche: Schwerkraft und Balance, Stillstand und Bewegung, Zweckfreiheit und Funktion, Nähe und Distanz.
„Ich möchte nicht, dass meine Werke als ‚große Skulpturen’ aufgefasst werden; sie sind Ideen, die im Raum zwischen Boden und Decke wirken.“
So lautet ein knappes Statement, dass Grosvenor 1966 zum Katalog der Ausstellung Primary Structures beisteuerte. Wenig später verlässt er den Whitecube der Galerie und platziert Werke im Außenraum: Eingebettet in den Kontext „Landschaft“ erweitert sich auch der Wirkungsraum seiner Arbeiten – vom Boden bis zur Decke, von der Abgeschlossenheit zum Prozess, von hier zum Horizont.
Als prägende Erfahrung und früheste Inspiration nannte der leidenschaftliche Segler Robert Grosvenor neben der Architektur Frank Lloyd Wrights die Weite des Meeres und der Wüsten Arizonas.
Robert Grosvenor wurde 88 Jahre alt.
Moritz Wesseler, Direktor Fridericianum
„Als ich Robert Grosvenor Ende Juli in East Patchogue besuchte, sprach er voller Begeisterung von seiner bevorstehenden Ausstellung im Fridericianum, die Werke aus der Zeit von 1965 bis 2025 umfassen und damit fast alle Schaffensperioden abbilden würde. Gerade der Umstand, dass die Schau in Kassel stattfinden sollte, an jenem Ort, an dem er 1977 und 1987 an der documenta beteiligt war, erfüllte ihn mit besonderer Freude. Seine Erinnerungen an diese Aufenthalte und Präsentationen waren genauso lebhaft wie berührend und begleiteten meine Kolleg*innen und mich kontinuierlich bei der Einrichtung der Ausstellung – einer Werkschau, die nicht zuletzt im Kreis jüngerer Kunstschaffender mit großer Leidenschaft erwartet wurde, da er als strahlender Orientierungspunkt, als Künstler-Künstler gilt. Grosvenors Tod stimmt mich sehr traurig. Er ist ein großer Verlust. Gleichzeitig bin ich froh und dankbar, wie viel von ihm bleiben wird – sein Werk wird uns fortwährend faszinieren, beflügeln, überraschen, irritieren und amüsieren. Es wird als erfrischende Quelle der Inspiration aktiv bleiben.“
Andreas Hoffmann, Geschäftsführer documenta und Museum Fridericianum gGmbH
„Wir verlieren mit Robert Grosvenor eine bemerkenswerte Persönlichkeit und einen hoch respektierten Künstler. Und wir stehen nun vor seinem robusten und zugleich rätselhaft traumgleichen Werk, dass es hierzulande erst noch zu entdecken gilt. So viele Fragen, die wir ihm gern stellen würden, bleiben jetzt unbeantwortet. Wir werden sie seinem Werk stellen, es betrachten, umrunden, bestaunen und hinterfragen. Und ihn mit einer Retrospektive ehren, die wir so gern gemeinsam mit ihm eröffnet hätten, und die nun dafür sorgen möge, dass diese Vehikel für Gedanken, wie ein Künstlerfreund seine Arbeiten einmal nannte, neue Diskurse über Kunst, Raum, Balance, Perfektion und das Wunder des Unerklärbaren entfalten.“
