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Abschlussbericht der Organisationsentwicklung der documenta und Museum Fridericianum gGmbH liegt vor – mit einem Fokus auf wirkungsvolle Maßnahmen gegen Antisemitismus und andere Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit bei vollständigem Schutz der Kunstfreiheit
Hier finden Sie den vollständigen Abschlussbericht der Organisationsentwicklung der documenta und Museum Fridericianum gGmbH
Download Abschlussbericht der Organisationsuntersuchung.
In der Folge der Antisemitismusvorfälle auf der documenta 15 haben die Gesellschafter, die Stadt Kassel und das Land Hessen, eine Aufarbeitung und Analyse durch die fachwissenschaftliche Begleitung unter der Federführung von Prof. Dr. Nicole Deitelhoff beauftragt und auf deren Abschlussbericht aufbauend eine umfassende extern begleitete Organisationsentwicklung der documenta und Museum Fridericianum gGmbH und ihrer Gremienstrukturen veranlasst, die im Mai 2023 startete. Die Ergebnisse der Untersuchung liegen nun vor.
Die damit beauftrage Metrum Unternehmensberatung hat – basierend auf rund 50 Hintergrundgesprächen, Workshops und Fokusgruppen sowie diversen Unterlagen – im Abschlussbericht Empfehlungen ausgesprochen. Diese betreffen die Governance-Struktur ebenso wie die Ablauf- und Aufbauorganisation. Ziel der Organisationsentwicklung ist die Etablierung von wirkungsvollen Maßnahmen gegen Antisemitismus und andere Formen gruppenspezifischer Menschenfeindlichkeit bei vollständigem Schutz der Kunstfreiheit sowie die Erhöhung der Krisenresilienz und der Zukunftsfähigkeit der gemeinnützigen documenta und Museum Fridericianum GmbH.
Nach der heutigen Aufsichtsratssitzung ist der vollständige Abschlussbericht auf deutscher und englischer Sprache öffentlich einsehbar.
Bei den zentralen Empfehlungen handelt es sich um folgende:
- Beibehaltung der Findungskommission mit Anpassungen (Seite 22)
Es soll weiterhin für jede documenta Ausstellung eine Findungskommission geben, die auf Vorschlag der Geschäftsführung der documenta und Museum Fridericianum gGmbH durch den Aufsichtsrat benannt wird. Diese soll jedoch zukünftig nicht mehr mit der Governance der Ausstellung vermischt werden und der Prozess soll lediglich zwei Optimierungen erfahren: Er soll schriftlich fixiert werden und die Geschäftsführung soll sich selbst verpflichten, bei ihrem Auftrag maximale Vielfalt zu gewährleisten. - Entwicklung von zwei Codes of Conduct für die documenta und Museum Fridericianum gGmbH sowie die Künstlerische Leitung (Seite 24)
Im Code of Conduct der gGmbH sollen Grundwerte beschrieben werden, an denen sich sämtliches Handeln der gGmbH orientiert. Ein Fokus soll dabei sein, dass sie „sich eindeutig gegen Antisemitismus, Rassismus und sonstige Formen der Diskriminierung positioniert und ihre Einwirkungsmöglichkeiten unter Wahrung der Kunstfreiheit auch nutzen wird, um dieses Ziel zu erreichen“. Der Code of Conduct der Künstlerischen Leitung soll die Grundwerte ebendieser beschreiben und Passagen enthalten, die darstellen, wie gewährleistet wird, dass die von der Künstlerischen Leitung kuratierte Ausstellung die Menschenwürde nicht verletzt. Beide Codes of Conduct sollen als Willensbekundung auf Augenhöhe behandelt werden und dazu verpflichten, sich frühzeitig über die Codes of Conduct auszutauschen und so eventuelle Differenzen zu identifizieren bzw. potenzielle Konflikte produktiv aufzunehmen. Durch diese Konstruktion soll im Sinne des Grundgesetzes der Abwägung zwischen der Kunstfreiheit einerseits und der Pflicht der staatlichen Kulturverwaltung zur Diskriminierungsvermeidung andererseits Rechnung getragen werden. - Optimierung der Struktur des Aufsichtsrats und Einrichtung eines wissenschaftlichen Beirats (Seite 28)
Die Hauptverantwortung in der Aufsicht wird grundsätzlich vom Aufsichtsrat wahrgenommen, die Rolle der Gesellschafterversammlung beschränkt sich in der Regel auf wenige zentrale Aufgaben. Außerdem soll der Aufsichtsrat auf fünf bis neun Mitglieder verkleinert werden, die (bis auf zwei) gleichermaßen von den beiden Gesellschaftern benannt werden. Der Bund erhält einen stimmberechtigten Sitz im Aufsichtsrat und bestimmt den Vorsitzenden des wissenschaftlichen Beirats, der ebenfalls Mitglied im Aufsichtsrat werden soll.
Der einzurichtende wissenschaftliche Beirat soll aus sechs oder neun Personen aus dem künstlerisch-kuratorischen Bereich bestehen und die Geschäftsführung und den Aufsichtsrat beraten. - Klärung der Aufgaben von Geschäftsführung und Künstlerischer Leitung (Seite 29)
Die Aufgabenteilung zwischen Geschäftsführung und Künstlerischer Leitung sollte in einer Geschäftsordnung der Geschäftsführung verbindlich geregelt sein. Im Wesentlichen sollte diese Aufteilung klarstellen, dass die Geschäftsführung keine kuratorischen Aufgaben übernimmt, aber die Gesamtverantwortung bei strategischen, organisatorischen und finanziellen Themen trägt, den Schutz, der in einem Code of Conduct der gGmbH formulierten Werte verantwortet und diese im Dialog mit der Künstlerischen Leitung vertritt. Falls nötig, kann das in extremen Fällen auch dazu führen, dass die Geschäftsführung die Verantwortung hat, sich von manchen künstlerischen Inhalten zu distanzieren, ohne in diese selbst einzugreifen. - Einführung eines Management Boards (Seite 40)
Zur Sicherstellung effektiver Führung und einer sehr guten internen Kommunikation soll anknüpfend an das neugeordnete Organigramm die Einrichtung eines Management Boards für die gGmbH eingeführt werden. Im Management Board der gGmbH sollen die Abteilungsleitungen (Heads) und Direktor*innen (Directors) sowie darüber hinaus die Geschäftsführung und die Künstlerische Leitung vertreten sein.
Der Aufsichtsratsvorsitzende der documenta und Museum Fridericianum gGmbH und Oberbürgermeister der Stadt Kassel, Sven Schoeller konstatiert: „Die Ereignisse und Entwicklungen um das Auftreten antisemitischer Inhalte, Werke und Positionen auf der documenta 15 haben gezeigt, dass die Organisation der weltweit bedeutendsten Ausstellung zeitgenössischer Kunst nicht über die geeigneten Instrumente, Strukturen und Verfahren verfügt hat, um der Situation adäquat zu begegnen. Für die Zukunft der documenta ist von zentraler Bedeutung, das hierdurch und nach dem Rücktritt der Findungskommission für die Künstlerische Leitung der documenta 16 verloren gegangene Vertrauen zurückzugewinnen. Die zuständigen Gremien der documenta werden daher mit größter Umsicht dafür Sorge tragen, klare organisatorische Rahmenbedingungen für künftige Ausstellungen zu beschließen, die die Gewährleistung künstlerischer Freiheit für Kuratorium, sowie Künstlerinnen und Künstler unmissverständlich garantieren und gleichzeitig wirksame und effektive Maßnahmen zur Bekämpfung von Antisemitismus implementieren. Der Abschlussbericht der Organisationsentwicklung bietet hierfür eine hervorragende Grundlage. Sobald die Gremien der documenta abschließend über die Empfehlungen der Organisationsuntersuchung beschlossen haben, wird der Findungsprozess für eine Künstlerische Leitung neu gestartet. Dies ist für das erste Quartal 2024 vorgesehen.“
Die Stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende und Hessische Ministerin für Wissenschaft und Kunst, Angela Dorn betont: „Wir haben als Gesellschafter zugesagt, echte Lehren aus den antisemitischen Grenzüberschreitungen auf der documenta 15 zu ziehen. Es hat sich gezeigt, wie wichtig es war, eine umfassende und selbstkritische Analyse der Verantwortlichkeiten und Strukturen vorzunehmen. Mit den jetzt vorliegenden Empfehlungen haben wir eine gute Basis geschaffen, um die documenta in ihrer Einzigartigkeit zu bewahren und gleichzeitig strukturell weiterzuentwickeln. Unser wesentliches Ziel ist es, dass sich antisemitische Vorfälle nicht mehr wiederholen. Für die Zukunft der documenta ist es elementar, dass der Schatten der documenta 15 nicht auf der documenta 16 liegt.“
Der Geschäftsführer der documenta und Museum Fridericianum gGmbH Andreas Hoffmann ergänzt: „Nachdem wir vom ersten Tag meiner Tätigkeit für die documenta an intensiv an der Organisationsentwicklung gearbeitet haben, freue ich mich sehr, die Ergebnisse nun mit der Öffentlichkeit teilen zu können. Wer den Bericht studiert, wird feststellen, dass er gleichermaßen wirkungsvolle Maßnahmen gegen Antisemitismus und andere Formen gruppenspezifischer Menschenfeindlichkeit implementieren möchte, wie er sicherstellen möchte, dass dabei die Kunstfreiheit unbedingt und uneingeschränkt geschützt bleibt.“
Mit der Publikation verbunden ist ferner die Möglichkeit zur Kommentierung der zentralen Empfehlungen für die interessierte Öffentlichkeit. Diese lagen dem Aufsichtsrat heute zur Kenntnisnahme vor und wurden noch nicht zur Beschlussfassung gestellt. Eine entsprechende, über die Website www.documenta.de zugängliche Plattform ermöglicht ab Donnerstag, den 21. Dezember 2023 für die Dauer von gut einem Monat (bis 31. Januar 2024), die insgesamt fünf zentralen Empfehlungen zu kommentieren. Die documenta und Museum Fridericianum gGmbH und ihre Gesellschafter sind daran interessiert, konstruktive Kommentare, Ergänzungen und Hinweise zu berücksichtigen. Die finale Entscheidung, was in den Organisationsentwicklungsprozess Eingang findet, liegt bei den Gremien der documenta und Museum Fridericianum gGmbH.