Hohe Anziehungskraft für junge Menschen und lange Verweildauer: documenta präsentiert Besucher*innenbefragungen zur documenta fifteen. Erstmals auch Nachhaltigkeitsumfrage durchgeführt.

Repräsentative Besucher*innenbefragungen haben eine lange Tradition bei der documenta. Bereits seit der documenta 9 (1992) führt die gemeinnützige GmbH zu den alle fünf Jahre stattfindenden documenta Ausstellungen in Kooperation mit Prof. i.R. Dr. Gerd-Michael Hellstern repräsentative Besucher*innenbefragungen durch, um Informationen zu Publikumsstruktur und -interessen zu erhalten. Erstmalig wurde zur documenta fifteen auch eine Onlinebefragung zum Thema Nachhaltigkeit unter der Leitung von Prof. Dr. Christian Herzig realisiert.

documenta fifteen Evaluation

Die fünfzehnte documenta fand vom 18. Juni bis 25. September 2022 statt. Insgesamt besuchten über 738.000 Besucher*innen die Ausstellung.

Die allgemeine documenta fifteen Evaluation untersucht, welche Publikumsgruppen von der Ausstellung angesprochen werden und welche Erwartungen bzw. Informationsbedürfnisse bei den Besucher*innen bestehen. Ferner analysiert sie die Publikumsprofile (Herkunft, Motive, Interessen), Publikumseinstellungen (Wahrnehmung, Perzeption) und Besuchsverhalten (ökonomische Wirkungen).
Das Thema Antisemitismus wird an anderen Stellen ausführlich behandelt, so z. B. im Rahmen des unter Beteiligung des documenta Instituts betriebenen Forschungsprojekts „Antisemitismus und postkoloniale Debatten am Beispiel der documenta fifteen“.

Die Studie zur documenta fifteen belegt anhand der Herkunft und Struktur der Besucher*innen die einzigartige Stellung der documenta als Marke mit globaler Geltung. Das Publikum in Kassel ist sowohl international als auch stark lokal, regional und national verankert. Der Anteil der Stammbesucher*innen (63,8 %) ist gegenüber der documenta 14 (in Kassel: 77 %) gesunken, dafür wurden neue Besucher*innengruppen erschlossen: So waren es überwiegend jüngere Besucher*innen bis 40 Jahre (65,5 %), die zum ersten Mal eine documenta Ausstellung besuchten.
Obschon unter den Befragten Besucher*innen aus rund 86 Ländern waren, war das Publikum der documenta fifteen insgesamt weniger international zusammengesetzt als bei vorhergehenden documenta Ausstellungen. Dies ist vielleicht auf die COVID-19-Pandemie, möglicherweise aber auch auf den Krieg in der Ukraine zurückzuführen, zu den Gründen gibt es keine dezidierte Untersuchung. Die größten Anteile der ausländischen Besucher*innen kamen aus den Niederlanden (16,4 %) und der Schweiz (10,5 %), gefolgt von Österreich (7 %), Frankreich (6,3 %), dem Vereinigten Königreich (6,3 %) sowie den USA (6,3 %).

Traditionell zieht die documenta ein vergleichsweise junges Publikum an. Der Mittelwert für Besucher*innen aus dem Ausland betrug bei der documenta fifteen 44 Jahre, mit dem Median bei 42 Jahren. Die nationalen Besucher*innen waren im Vergleich dazu etwas älter: Der Mittelwert für Besucher*innen aus Deutschland betrug 47 Jahre, mit dem Median bei 51 Jahren. Der Anteil an jüngerem Publikum bis 20 Jahre ist im Vergleich zur documenta 14 gestiegen – fünf Jahre zuvor waren es nur 6,6 % Besucher*innen in der Gruppe der bis 20 Jahre alten, jetzt waren es 8,2 %.

Die Analyse zeigt eine hohe Gesamtzufriedenheit der Befragten mit dem Ausstellungsbesuch (Mittelwert von 2,19). Insbesondere die Atmosphäre der Ausstellung, das Prinzip von Gemeinschaftlichkeit (lumbung) und die internationale Zusammensetzung fanden eine hohe Zustimmung. Über 94 % der Besucher*innen waren mit dem Gesamtservice von Führungen und Angeboten zufrieden. Als wichtiger Indikator für den Erfolg werden zukünftige Besuchsabsichten angeführt: Über 63 % aller Besucher*innen gaben an, die nächste documenta Ausstellung besuchen zu wollen.

Die Untersuchung liefert auch Ergebnisse mit Blick auf die regionalwirtschaftlichen Effekte der documenta Ausstellung. Für 89,8 % der auswärtigen Besucher*innen war die Ausstellung der Anlass für eine Reise nach Kassel. Der Anteil der Besucher*innen, die zwei Tage und länger auf der documenta fifteen verweilten, war trotz der ökonomischen und pandemischen Lage hoch. Die auswärtigen Besucher*innen aus Deutschland blieben im Durchschnitt rund 3 Tage in Kassel, internationales Publikum außerhalb Europas im Schnitt 5 Tage.

Insgesamt lässt sich folgern, dass der Antisemitismuseklat die Besucher*innen der documenta fifteen einerseits geprägt hat, sie andererseits den Ausstellungsaufenthalt an sich aber größtenteils positiv bewerten (die internationalen Gäste noch etwas positiver als die nationalen), dass ihnen inhaltliche Begriffe wie „lumbung“ in Erinnerung bleiben werden und dass der überwiegende Teil einen Wiederbesuch plant. Außerdem konnte sich das Publikum weiter verjüngen.
Unter der wissenschaftlichen Leitung von Prof. Dr. Joanna Ożga wurden insgesamt 7.002 Interviews ausgewertet, die per systematischer Zufallsauswahl gewonnen wurden und standardisierte Fragen mit persönlicher Ansprache kombinierten.

Nachhaltigkeitsbefragung

Mit Blick auf Erfordernisse unserer Zeit und ruangrupas künstlerischer Praxis wurde das Thema Nachhaltigkeit bei der documenta fifteen ganzheitlich betrachtet und fand in allen Bereichen der Planung und Durchführung der Ausstellung Berücksichtigung. Neben der Auseinandersetzung mit ökologischen Faktoren standen kulturelle, soziale, politische und wirtschaftliche Aspekte im Mittelpunkt.

So wurden z. B. mit dem „Nachhaltigkeitseuro“ im Ticket 375.000 Euro für Aufforstung generiert. Ferner wurde die Nahverkehrsnutzung erstmalig ins Ticket inkludiert. Bei Merchandise wurde auf nachhaltige bzw. regionale Produkte gesetzt, Printprodukte waren nach Möglichkeit Blauer Engel zertifiziert und wurden größtenteils durch digital optimierte Varianten per QR-Code an den Verteilstellen angeboten. Ökologische, regionale und abfallarme gastronomische Angebote wurden gefördert, indem auf Mehrweggeschirr, Biolebensmittel sowie regionale, vegane und vegetarische Speisen gesetzt wurde.
Insbesondere im Bereich Materialkreisläufe engagierte sich die documenta fifteen, die schon 2020 Mitglied im von der Kulturstaatsministerin geförderten Aktionsnetzwerk Nachhaltigkeit in Kultur und Medien wurde und über ein Symposium 2021 die Gründung des Dachverbands für deutschlandweite Initiativen zur Materialverteilung und Logistik (IfM) initiierte. Entsprechend dieser Querschnittsaufgabe hat die documenta fifteen erstmals auch Fragen der Nachhaltigkeit bzw. ihre Bemühungen in diesem Bereich evaluieren lassen.

Die Gesamtbewertung der Nachhaltigkeitsbestrebungen der documenta fifteen fällt überwiegend positiv aus. Eine umweltfreundliche Ausrichtung der documenta fifteen erkannten 63,9 % bzw. sogar 91,1 % der Befragten, wenn man diejenigen hinzuzählt, die mit „teils/teils“ geantwortet haben. Mehr als die Hälfte der Befragten hat die Nachhaltigkeitsprojekte der documenta fifteen zur Kenntnis genommen und über 90 % befürworteten die Unterstützung von Nachhaltigkeitsprojekten.

90 % der befragten Besucher*innen vertreten die Meinung, dass die documenta Ausstellungen möglichst klimaneutral ausgerichtet werden sollten. Für eine Ausrichtung mit möglichst geringen negativen ökologischen Auswirkungen sprechen sich knapp über 80 % der Befragten selbst dann aus, wenn dadurch Preise z. B. für Eintritt oder gastronomische Angebote um wenige Euro steigen würden. Die Nachhaltigkeitsbestrebungen im gastronomischen Bereich honorieren viele der Befragten. Beispielsweise bewerteten acht von zehn Befragten als positiv, dass es ausreichend Produkte in Bio-Qualität sowie ausreichend vegetarische Alternativen gab.

Die Hauptverkehrsmittel von Anreisenden aus dem Ausland nach Deutschland waren der Zug (38,8 %), das Auto (29,5 %) und das Flugzeug (26,2 %). Zur Anreise nach Kassel innerhalb Deutschlands wurde am häufigsten der Zug (Fernverkehr) (40,0 %) gewählt, gefolgt vom Auto (33,7 %) sowie Verkehrsmitteln des öffentlichen Nahverkehrs (20,1 %). Mehr als die Hälfte (60,1 %) reiste somit mit vergleichsweise klimafreundlichen Verkehrsmitteln (Nah- und Fernverkehr) an. Ähnlich zeigt sich dies auch bei Besucher*innen aus Kassel, die am häufigsten den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) zur Anreise wählten (41,4 %), der ja auch erstmals ins Ticket inkludiert war, dicht gefolgt von der Nutzung des Fahrrads (36,7 %). Das bestehende Park & Ride-Angebot wurde nur von jedem*r zehnten mit dem Auto anreisenden Besucher*in genutzt. Hier wird eine verstärkte Kommunikation empfohlen. Innerhalb Kassels bewegten sich die Besucher*innen am häufigsten zu Fuß. Als zweithäufigste Option für die Mobilität vor Ort wählten sie den ÖPNV. Das Auto, das Fahrrad und das E-Bike wurden kaum zur Fortbewegung zwischen den Ausstellungsorten genutzt.

Die Kommunikation zum nachhaltigen Veranstaltungsmanagement bewerten über die Hälfte der Befragten als ehrlich und sympathisch, ein Viertel stimmt dem teilweise zu. Wünsche der Besucher*innen für den Ausbau der Nachhaltigkeitskommunikation beziehen sich z. B. auf eine stärkere Einbindung von Informationen zur Nachhaltigkeit auf der Website, Informationen für die Besucher*innen in Bezug auf eine klimafreundliche Anreise oder die weitere Reduzierung des Papierverbrauchs in Zusammenhang mit Kommunikations- und Vermittlungsmaterialien.

Die Onlineumfrage zu den Nachhaltigkeitsbestrebungen der documenta fifteen wurde im Auftrag der documenta und Museum Fridericianum gGmbH von der Universität Kassel/Justus-Liebig-Universität Gießen unter der Leitung von Prof. Dr. Christian Herzig durchgeführt. Von den über 738.000 Besucher*innen der documenta fifteen haben 2.916 Besucher*innen an der Umfrage teilgenommen.